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Barrierefreiheit on- und offline: Große Chance für die österreichischen Händler

Ende 2015 läuft die Übergangsfrist für das Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) aus, bis dahin müssen öffentlich angebotene Waren und Dienstleistungen barrierefrei zugänglich sein. Doch das Thema betrifft auch Websites - für die behördlichen Internetauftritte gibt es bereits verbindliche Vorgaben vonseiten der Europäischen Kommission. Wie ist der Status Quo in der Barrierefreiheit – in Geschäftslokalen und im Netz? Welche Maßnahmen kann der Handel treffen, um hier weitere Hürden abzubauen? Welche Vorzeigeprojekte gibt es und wo ist dringend Handlungsbedarf gegeben? Diese Fragen waren Thema der frei[handels]zone  im Handelsverband. Abschließend bot sich in den Räumlichkeiten des Handelsverbandes bei Glühwein und Canapés die Gelegenheit zu vertiefenden Gesprächen und ausführlichem Networking.

 

Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes, begrüßte die Gäste und führte sogleich in das Thema der Veranstaltung ein: „Aus aktuellem Anlass – am 31.12.2015 läuft die 10-jährige Übergangsfrist für die Umsetzung der Barrierefreiheit aus – wollen wir heute darüber sprechen, was der österreichische Handel für einen barrierefreien Zugang tun muss, was er schon getan hat und was noch zu tun ist. Verbesserungspotentiale gibt es viele, sowohl im stationären Handel als auch im Internet. Wie eine konkrete Umsetzung aussehen kann, zeigt beispielsweise der BIPA-Online-Shop, der mithilfe eines sogenannten Screenreader-Programms auch für Blinde, Sehbehinderte sowie Menschen mit Behinderungen leichter bedienbar gemacht wurde.“

 

Journalistin Claudia Stückler führte danach souverän durch die Diskussion an der Shadi Abou-Zahra, Leiter des International Program Office der Web Accessibility Initiative (WAI) des W3C, der ehemalige Sozialminister und jetzige Behindertenanwalt Erwin Buchinger, Gregor Demblin, Social Entrepreneur und Unternehmensberater sowie C&A Geschäftsführer Norbert Scheele teilnahmen.

 

Nichts tun ist zu wenig

„Erfreulicherweise werden mit Ende der Übergangsfrist des Behindertengleichstellungsgesetzes nun vielfältige Aktivitäten hinsichtlich der Barrierefreiheit beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen gesetzt“, sieht Erwin Buchinger, seit 2010 als Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen tätig, die verstärkte Umsetzung des BGStG in den letzten zwei Jahren positiv. „Ein Großteil dieser Aktivitäten wird aller Voraussicht nach nicht in die Herstellung völliger Barrierefreiheit münden, sondern in eine größtmögliche Annäherung an diese. Dies deshalb, weil die Gewährleistung völliger Barrierefreiheit im Altbestand von Gebäuden und Einrichtungen wohl in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sein wird. Dann wird es aber darauf ankommen, jene zumutbaren Maßnahmen zu setzen, die eine maßgebliche Verbesserung der Situation der betroffenen Personen bewirken“, konkretisiert Buchinger die Anforderungen an die Wirtschaft und nimmt gleichzeitig etwaige Befürchtungen: „In vielen Anfragen kommt dabei die Unsicherheit von Unternehmen zum Ausdruck, was denn im Einzelfall konkret zu tun wäre, um keinen Gesetzesverletzung zu riskieren. Darauf gibt es leider keine abschließende Antwort, weil jeder Fall für sich beurteilt werden muss. Nichts zu tun, wird aber in den allermeisten Fällen nicht ausreichen. Es sollte vielmehr das vielfältige Angebot an Beratung- und Unterstützung, das etwa kostenfrei durch die Wirtschaftskammer angeboten wird, genutzt werden, um den eigenen Handlungsbedarf auszuloten. Ich kann aber allen Unternehmen die Angst vor Gerichtsverfahren nehmen. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Schlichtungsverfahren, in Zuge dessen man mögliche Versäumnisse nachholen kann.“

 

Alle gewinnen: Gleichberechtigung für die einen und Komfortgewinn für die anderen

Etwas kritischer als Buchinger äußert sich Gregor Demblin, durch einen Badeunfall selbst auf einen Rollstuhl angewiesen, zu den letzten 10 Jahren, die die Wirtschaft verschlafen hat: „Die Wirtschaft hat den Großteil der zehnjährigen Übergangsfrist tatenlos verstreichen lassen. Aktuell sehe ich vielleicht 10 % der Unternehmen barrierefrei. In der Diskussion wird leider völlig verabsäumt, auf die riesigen Chancen von Barrierefreiheit hinzuweisen. 15-20 % der Bevölkerung sind von Einschränkungen und Behinderung betroffen. 40 %, dazu zählen u.a. ältere Personen, sind im weiteren Sinne beeinträchtigt. Das sind für die Wirtschaft breite Teile ihrer Belegschaften, vor allem aber riesige Kundenschichten. Demblin verweist darauf, dass durch die Überalterung unserer Gesellschaft diese Zahl in den kommenden Jahrzehnten sogar noch zunehmen wird und betont: „Gerade für den Handel geht es um riesige Zielgruppen, bei denen sich die Frage stellt, ob sie Geschäfte betreten können, die entsprechenden Waren finden, ob sie Onlineshops bedienen und nutzen können, und ob das Personal die Kompetenz hat, auf besondere Bedürfnisse einzugehen, kurz: ob sie hier einkaufen oder nicht. Durch unsere erfolgreiche Zusammenarbeit mit einigen der größten Handelsunternehmen Österreichs wissen wir um die Herausforderungen, vor allem aber auch um die Chancen von Barrierefreiheit für den Handel.“

 

Unwissenheit über Vorteile ist große Barriere

Shadi Abou-Zahra, der sich als Leiter des International Program Office der Web Accessibility Initiative (WAI) des World Wide Web Consortium (W3C) intensiv mit der Sensibilisierung und Weiterbildung in der barrierefreien Website-Gestaltung beschäftigt, sieht noch viel Aufholbedarf in Sachen Barrierefreiheit: „Menschen mit Behinderung werden nach wie vor benachteiligt und von der Teilnahme an grundlegenden Aspekten der Gesellschaft wie Bildung, Arbeit und Kommerz ausgeschlossen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Vor allem mangelt es oft an Bewusstsein über die Vorteile von barrierefreien Webauftritten. Er ist davon überzeugt, dass die barrierefreie Gestaltung viele Vorteile, zum Beispiel im Bereich von mobilen Anwendungen, für ältere Webnutzer, und allgemeine Usability für alle Nutzer und potentielle Kunden bringt: „Erfolgreiche Beispiele der Umsetzung basieren auf einer grundlegenden Veränderung der Einstellung und des Zugangs zum Thema der Barrierefreiheit. Durch objektive Auseinandersetzung mit der Materie, Definition von realistischen und konkreten Zielen, sowie Investition in Ausbildung und Aufklärung wird eine langfristige und nachhaltige Umsetzung ermöglicht. Barrierefreie Webgestaltung gelingt am besten, wenn sie im allgemeinen Arbeitsablauf integriert wird, und nicht als ungeliebtes Stiefkind behandelt wird.“

 

Der Handel erkennt die Chancen

Als Geschäftsführer von C&A in Österreich verantwortet Norbert Scheele über 130 Filialen. Er sieht C&A auf einem guten Weg: „Barrierefreiheit in den Geschäften sollte für jeden Händler ein wichtiger Bestandteil seines Konzeptes sein. Dies beginnt beim Eingang, geht über die Preisauszeichnung sowie Erreichbarkeit der Ware bis hin zu den Kabinen und endet bei den Kassen. In vielen Bereichen kann der Händler diese Aspekte selbst gestalten und in seine Warenpräsentation einfließen lassen. Anders ist es in baulicher Hinsicht. Während neue Geschäfte wie Einkaufszentren, Fachmärkte auf der grünen Wiese oder große Innenstadtlagen keine gravierenden Probleme aufweisen, wird es insbesondere in alten Gebäuden zu Problemen kommen, welche man mit Augenmerk versuchen sollte anzugehen. Für Scheele steht ohnehin das Kundeninteresse an erster Stelle: „Wir als Händler nehmen, unabhängig von Gesetzen, alle Kunden ernst und bemühen uns stets, allen das beste Einkaufserlebnis anbieten zu können. Wir sind auch gerade dabei unsere Preisetiketten umzustellen, sodass diese nur noch zweifarbig mit klaren Kontrasten gut lesbar sind. Ebenso arbeiten wir daran, die Beschriftung der Liegeware dahingehend umzustellen, sodass die Größe des Artikels, ohne diesen in die Hand nehmen zu müssen, sofort erkennbar ist.“ Dies ist laut Scheele ein steter Prozess, an dem unaufhörlich gearbeitet wird, um den Anforderungen der Kunden gerecht zu werden. Und die Kunden arbeiten sozusagen selbst an der Verbesserung mit: „Um auf die Bedürfnisse unserer Kunden möglichst rasch eingehen zu können, nutzen wir die uns täglich erreichende Kundenresonanz.“

Foto: © Katharina Schiffl / Handelsverband

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