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Dr. Irmgard Griss: Haben wir schon bald die erste Bundes-präsidentin?
Das höchste Amt im Staat, bekleidet von einer Frau: Die Top-Juristin Irmgard Griss könnte es möglich machen und die erste Bundespräsidentin Österreichs werden. Ihr Ruf ist – auch in den Reihen der politischen Gegnern – tadellos. Lesen Sie hier, was die gebürtige Steirerin zu wichtigen Themen zu sagen hat.
Wie werden Sie das Amt der Bundespräsidentin auslegen?
Ich möchte das Amt der Bundespräsidentin nützen, um mich für mehr Gerechtigkeit einzusetzen. Für einen gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich, zwischen Jung und Alt, zwischen Frauen und Männern. Einsetzen will ich mich auch für ein verstärktes Nachdenken darüber, wie sich unser Lebensstil auf unsere Lebensgrundlagen, unsere Umwelt und die Nachwelt auswirkt. Mein soziales Gewissen ist durch meine langjährige Tätigkeit als Richterin und Schlichterin geschärft; mein ökologisches Gewissen durch mein Aufwachsen auf einem Bauernhof. Mein Ziel ist es, drängende Probleme bewusst zu machen und gleichzeitig dazu zu ermutigen, diese Herausforderungen zu meistern. Ich möchte dabei für nachhaltige Lösungen werben. Dazu gehört auch, die Politik zu Reformen zu ermutigen und den künftigen Generationen eine Stimme zu geben.
Ihr erster Berufswunsch war Lehrerin, warum?
Weil ich immer gerne selbst gelernt und auch gerne jemandem etwas beigebracht habe.
Sind Sie für Frauenquoten zum Beispiel in Unternehmensvorständen?
Die Quote ist eine Notmaßnahme, weil der Vorwurf „Quotenfrau“ schnell bei der Hand ist – sie kann aber für die Bewusstseinsbildung sinnvoll sein.
Sehen Sie sich als Vorbild für Frauen?
Frauen trauen sich oft zu wenig zu. Da kann es motivierend sein, wenn sich eine Frau dem Wettbewerb um das höchste Staatsamt stellt, auch wenn sie nicht von einer Partei dazu eingeladen und unterstützt wird.
Welchen Beitrag möchten Sie als Bundespräsidentin leisten, um die Wirtschaft zu fördern und Arbeitsplätze zu sichern?
Ich will mich für faire Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und für ein leistungsstarkes Bildungssystem einsetzen.
Wie stehen Sie zu TTIP?
Grundsätzlich stehe ich dem freien Handel zwischen Staaten positiv gegenüber. In der Vergangenheit haben Staaten Immer wieder davon profitiert, dass sie sich dem Freihandel geöffnet haben. Auch Österreich konnte dadurch eine starke Exportwirtschaft entwickeln. TTIP und andere Freihandelsabkommen, die gerade auf EU Ebene verhandelt werden, haben in den letzten Jahren der öffentlichen Debatte um internationale Handelsabkommen wesentlichen Auftrieb verliehen. Von unterschiedlichen Seiten wurde aber auch versucht, die öffentliche Diskussion bewusst zu steuern - wie etwa durch die verkürzte Darstellung der Sachlage durch Themen wie „Chlorhuhn" und „Wasserprivatisierung". Durch den verstärkten öffentlichen Druck haben die Europäische Kommission und die nationalen Behörden ihre Transparenzbemühungen bei den laufenden Verhandlungen erhöht. Zuletzt wurde dazu auch ein "Leseraum" im österreichischen Wirtschaftsministerium eingerichtet, in dem Abgeordnete in die Vertrags - und Verhandlungsunterlagen Einsicht nehmen können. Solche Initiativen sind zu begrüßen. Transparente Verhandlungen sind die Voraussetzung dafür, dass die Ergebnisse von der Bevölkerung akzeptiert werden können. Für die Akzeptanz von TTIP ist meines Erachtens entscheidend, dass europäische Standards in den Bereichen Gesundheit, Arbeitnehmerschutz, Konsumentenschutz und Umweltschutz abgesichert sind. Nur so kann der hohe Schutz auf nationaler und europäischer Ebene gewahrt bleiben. Endgültig kann TTIP kann erst eingeschätzt werden, wenn das Verhandlungsergebnis vorliegt. Ich bin zuversichtlich, dass die zuständigen nationalen und europäischen Behörden die Anliegen der europäischen Bevölkerung in den Verhandlungen mit den USA mit Nachdruck vertreten.
Es gibt derzeit eine Diskussion über die Senkung der Mindestsicherung. Wie stehen Sie dazu?
Die Mindestsicherung ist so bemessen, dass bescheidene Bedürfnisse gedeckt werden können. Jede Senkung verstärkt die Armutsgefährdung und sollte nur als letzter Ausweg bei sonstiger Unfinanzierbarkeit erwogen werden.
Wie soll Österreich mit der anhaltenden Flüchtlingswelle umgehen?
Die Bundesregierung hätte wesentlich früher Maßnahmen treffen müssen, um sicherzustellen, dass alle Ankommenden registriert werden können. Jetzt muss alles getan werden, damit Asylverfahren rascher abgewickelt werden können und abgewiesene Asylwerber das Land auch tatsächlich verlassen.
Wie stehen Sie zur „Obergrenze“? Sind Sie für eine unbegrenzte Zuwanderung?
Die „Obergrenze“ kann nur als politisches Signal verstanden werden, dass Österreich nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann. Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention (= wegen eines persönlichen Merkmals Verfolgte) müssen aufgenommen werden, wenn Österreich seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen will. Das heißt aber nicht, dass alle, die jetzt kommen, aufgenommen werden müssen, denn nur ein geringer Teil sind Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention.
Eine unbegrenzte Zuwanderung kann kein Staat verkraften. Bei der Einwanderung muss überlegt werden, welche Qualifikationen gebraucht werden und wie viele Menschen vernünftig integriert werden können. Denn eine Gesellschaft hat nur beschränkte Möglichkeiten, Menschen eine Chance zu geben, sich etwas aufzubauen. Eine ehrliche Debatte darüber sind wir der österreichischen Bevölkerung und den Flüchtlingen schuldig.
Wie sehen Sie die Entwicklung der EU?
Die EU ist bisher immer an ihren Herausforderungen gewachsen. Zu Beginn war sie eine reine Wirtschaftsgemeinschaft und dann eine Rechtsgemeinschaft, die immer enger und stärker geworden ist. Ich bin zuversichtlich, dass die EU auch in Zukunft an ihren Herausforderungen wachsen und aus Krisen gestärkt hervorgehen wird.
Zur Person:
Irmgard Griss wurde 1946 in der Steiermark geboren. Ihr Berufswunsch war Lehrerin. 1965 inskribierte sie an der Grazer Universität Staatswissenschaften und machte das Latinum. Danach wechselte sie zu Rechtswissenschaften. Nach Abschluss des Studiums Assistentin am Institut für Zivilgerichtliches Verfahren der Universität Graz. 1974/75 Studienjahr an der Harvard Law School, Abschluss mit einem Master of Laws. Gerichtsjahr in Graz, 1978 Anwaltsprüfung. Im Februar 1979 Start beim Bezirksgericht für Handelssachen Wien, 1980 zur Richterin des Handelsgerichts Wien ernannt, 1987 zur Richterin des Oberlandesgerichts Wien, 1993 zur Richterin des Obersten Gerichtshofs und zum Mitglied des Obersten Patent- und Markensenats. Von 2007 bis zur Pensionierung Ende 2011 Präsidentin des Obersten Gerichtshofs; von 2010 bis 2013 Präsidentin des Obersten Patent- und Markensenats. Von 2003 bis 2013 Mitglied des Universitätsrats der Universität Graz, davon fünf Jahre als Vorsitzende. 2013 Übernahme der Leitung der Schlichtungsstelle für Verbrauchergeschäfte. 2014 Übernahme der Leitung der „Untersuchungskommission zur transparenten Aufklärung der Vorkommnisse rund um die Hypo Group Alpe-Adria“. 2015 wurde sie zur internationalen Richterin am neuerrichteten Singapore International Commercial Court. Irmgard Griss ist seit 1986 bin ich mit Rechtsanwalt Gunter Griss verheiratet und lebe mit ihrer Familie in Graz. Sie hat drei Stiefkinder und zwei leibliche Kinder.
Foto: mik6393/Archiv