Rollenspiele im Business und Privat: ABW im Gespräch mit Psychologin Dr. Teresa Keller
Hat das Ausleben der eigenen Stärken etwas mit Egoismus zu tun?
Auf keinen Fall. Erstens gibt es ja auch Stärken, wie soziale Intelligenz oder Bindungsfähigkeit. Also Stärken, die schon in ihrem Wesen das Gegenüber mit einbeziehen. Zum anderen sollte man gerade das, was man tendenziell gut kann, mehr tun. Dadurch werden wir immer besser und haben Erfolgserlebnisse und nehmen unserer Einzigartigkeit war. Wofür wir dann unsere Stärken nutzen ist noch mal eine ganz andere Frage.
Wie sieht so eine Selbstinventur aus? Ist sie leicht zu bewerkstelligen?
Bei der Selbstinventur geht es vor allem darum zu erkennen, was alles vorhanden ist. So wie in einem Supermarkt erst mal geprüft werden muss, was alles noch in den Regalen liegt. Für eine Inventur des Selbst sind folgende Fragen hilfreich: Welche Stärken habe ich? Welche Erfolge waren für mich wichtig? Wie gehe ich mit meinem inneren Kritiker um? Bei welchen Tätigkeiten blühe ich gerade zu auf und habe ich davon genügend Nutzungsmöglichkeiten in meinem Alltag? Bis hin zu: Warum mache ich das, was ich da gerade mache, eigentlich? Diese Fragen sind nicht immer so leicht zu beantworten. Deswegen ist es auch so wichtig, sich ein wenig Zeit zu nehmen und sich vielleicht auch mal mit Freunden oder Kollegen auszutauschen. Denn die eigene Wahrnehmung ist nicht immer die richtige.
Sie gelten als Expertin für Positive Psychologie - wie nutzen Sie diese für sich?
Vor allem durch den unaufhörlichen Versuch, die Dinge und Geschehnisse immer durch mehrere Perspektiven wahrzunehmen. Das hat mir schon viele schwierige Situationen erleichtert, da sich durch die unterschiedlichen Perspektiven auch häufig neue Lösungsmöglichkeiten ergeben. Aber auch die stärkenorientierte Haltung macht einem das Leben so viel angenehmer. Gute Leistung zu erbringen macht dann Spaß und kostet so viel weniger Kraft, da ich viel häufiger in einem Flow-Zustand bin, in dem ich Raum und Zeit vergesse und einfach nur hochkonzentriert bin. Viele kleinere Übungen, wie zum Beispiel das Dankbarkeitstagebuch, wende ich immer mal wieder an, wenn ich Bedarf habe.
Ist es Angesicht der vielen Kriege und Katastrophen überhaupt möglich, ein positives Bild von seiner Umwelt zu entwickeln?
Das ist tatsächlich nicht ganz einfach und ist ein Einwand, den ich immer wieder höre. Aber wir kennen auch alle die Situation, wenn es einem Freund oder einer Freundin schlecht geht. Wir können nur wirklich gut helfen, wenn es uns selber gut geht, wir etwas zu geben übrig haben. So ähnlich sehe ich das auch bei dieser Frage. Wenn ich eine gute Selbstwahrnehmung habe und nach meinen Werten und Zielen lebe, dann profitiert auch mein Umfeld davon. Denn der Mensch ist ein Wesen, das sich soziale Zugehörigkeit wünscht. Wenn jeder Mensch sich auf diese Weise umsichtig und aufrichtig verhält, werden wir eine bessere Gesellschaft aufbauen. Das braucht allerdings noch einiges an Zeit und Geduld, ich bleibe aber optimistisch.
Was raten sie Businessfrauen, die trotz Karriere eine innere Leere empfinden?
Diese innere Leere sollte man ernst nehmen. Denn in diesem Zustand kostet die gleiche Arbeit sehr viel mehr Energie und Anstrengung. Diese innere Leere hat immer auch einen Grund. Oft sind das konkrete Probleme: Dass jemand keine Möglichkeiten hat, seine wahre Stärken sinnvoll zu nutzen, oder das Gefühl nicht wirklich mitgestalten zu können, oder der Eindruck vieles zu machen aber davon wenig richtig zu machen, weil die Konflikte zwischen den verschiedenen Rollen zu stark werden. Im schlimmsten Fall auch alles gleichzeitig. Gerade in solch einer Situation kann es sehr hilfreich sein, die Möglichkeit einer Selbstinventur in Betracht zu ziehen. Damit übernehmen wir selbst wieder die Verantwortung – und füllen unser Leben wieder mit Sinn, Freude und Erfolg.
Foto: Simon Koy