Karriereportaits öffentliche Verwaltung
Helga Ahrer, Abgeordnete Landtag Steiermark: "Wir haben 100 Prozent mehr Arbeitslose"
Die ursprünglich medizinische Krise hat zu einer wirtschaftlichen Katastrophe geführt. "Wir benötigen ein Auffangnetz und faire Rahmenbedingungen", fordert die Landtagsabgeordnete im ABW-Interview.
Welche Folgen der Corona-Krise fürchten Sie am meisten für Ihr Bundesland?
Es sind die einzelnen Schicksale, die sehr bewegen. Menschen, die jetzt aufgrund der Corona- Krise ihren Job verloren haben, oder in der Kurzarbeitsphase noch immer bangen müssen, ob der Betrieb und schlussendlich sie als ArbeitnehmerInnen diesen Ausnahmezustand überleben werden. Menschen die von heute auf morgen existenziellen Herausforderungen bzw. einer plötzlichen Armutsgefährdung gegenübergestellt sind.
Wie soll die Miete das nächste Monat gezahlt werden, wie soll ich meine Familie weiter versorgen können. Eine medizinische Krise, die schlussendlich eine katastrophale wirtschaftliche Krise mit sich gezogen hat. Im April 2020 stehen wir einem Rekordhoch von über 62.000 Arbeitslosen in der Steiermark gegenüber. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg von 100%. Schon über 13.000 Anträge auf Kurzarbeit wurden in der Steiermark mittlerweile bearbeitet. Was das alles für Auswirkungen auf die Steirerinnen und Steirer haben wird, sind natürlich die größten Sorgen.
In welchen Bereichen sehen Sie die größten Herausforderungen?
Die Herausforderungen muss man differenziert sehen. Als Gewerkschafterin lege ich den kritischen Blick auf die diversen Arbeitsbedingungen der ArbeitnehmerInnen.
Nehmen wir zunächst die systemrelevanten Branchen ins Visier. Es hat sich gezeigt, dass nun gerade jene Branchen das System am Laufen halten, die schon seit jeher unter kritischen Rahmenbedingungen stehen. Hier sind es vor allem Frauen – 70% angemerkt – die im Handel, Gesundheits- und Pflegebereich, im Dienstleistungssektor oder in der Produktion tätig sind. Wichtig ist es, auch nach der Krise die Wertschätzung, die gerade mit einem großen Danke entgegengebracht wird, in eine faire Entlohnung und in ordentliche Rahmenbedingungen umzuschwenken.
Nicht zu vergessen sind auch jene Branchen, die momentan große wirtschaftliche Einbußen erfahren, wie die Gastronomie und der Tourismus. Das Konzept der Kurzarbeit ist unerlässlich, die Frage ist aber nach dem Danach.
Aus der weiblichen Perspektive gesehen, ist auch das Home Office unter einen besonderen Fokus zu nehmen. Die Mehrfachbelastungen bleiben zum Großteil bei den Frauen hängen: Kinderbetreuung, Homeschooling, Betreuung von Angehörigen, der Haushalt. Problematisch wird dies vor allem bei Alleinerzieherinnen, aber auch wenn der Partner im Home Office ist. Die Rollenzuteilung, dass trotzdem noch die Frauen all diese Zusatzbelastungen auf sich nehmen und alte, konservative Muster verstärkt Einklang finden, muss unbedingt gebrochen werden. Unbezahlte Arbeit, die aus meiner Perspektive neu bewertet werden muss.
Speziell herausgenommen muss unter diesen Umständen auch die Kinderbetreuung werden. Eine große Verunsicherung herrscht bei den Eltern, vor allem wenn es um die Sommerbetreuung geht. Viele haben ihre Urlaube während des Lockdowns aufgebraucht und stehen nun vor der Frage, wer nun während der Sommerferien die Kinder betreuen kann, da eine einheitliche Lösung noch immer nicht gefunden wurde. Am Ende des Tages wird das größte Problem die Ressourcenverteilung sein.
Sind Sie zufrieden mit den bisherigen Maßnahmen, die zur Unterstützung der Menschen eingeleitet wurden? Gibt es spezielle Forderungen/Wünsche seitens des Landes Steiermark?
Es wurden bis dato zwei Hilfspakete in der Steiermark geschnürt:
1. Hilfspaket von mehr als 53 Millionen als Sofortpaket (Ende März): Großteil der Übernahme von Zinszahlungen für Überbrückungskredite Härtefonds für Unternehmen, Förderung Telearbeit, Härtefonds für KünstlerInnen und SportlerInnen.
2. Hilfspaket 45 Millionen (5. Mai): Corona Arbeitsstiftung für Arbeitslose mit AMS für ArbeitnehmerInnen, die bereits durch die Krise arbeitslos wurden oder nach der Kurzarbeit arbeitslos werden Übernahme der Kosten für Kinderbildungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen (Elternbeiträge März/April), Investitionen im Tourismus und in der Landwirtschaft, Investitionen in neue Schutzausrüstung im Pflege-, Sozial- und Gesundheitsbereich Qualifizierungsmaßnahmen für ArbeitnehmerInnen.
Über diese umfangreichen Wirtschaft- und Arbeitsmarktpakete will man den massiven Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie entgegenwirken, um möglichst viel Menschen in Arbeit zu halten und wieder zu bringen bzw. die Unternehmen zu unterstützen. Zukünftig muss man selbstverständlich laufend auf die Bedürfnisse der Menschen Acht nehmen. Der Widereinstieg in die Arbeitswelt als Ziel und auch das Umsetzen dauerhafter Verbesserungen in den unterschiedlichen Branchen.
Bitte beschreiben Sie Ihren Arbeitsalltag während des Lockdowns?
Ein großer Schwerpunkt stellt momentan die Bearbeitung und Beratung zum Thema Kurzarbeitsanträge als Sozialpartner dar. Hier gab es viel Unsicherheit seitens der ArbeitgeberInnen als auch ArbeitnehmerInnen. Ich bin jedoch froh darüber, dass dieses Konzept so breitflächig angenommen wurde, um somit Arbeitsplätze erhalten zu können. Daneben steht natürlich noch immer der Mensch im Mittelpunkt, also das Zuhören bei Sorgen und Problemen wie etwa beim Thema Pflegegeld und 24h Pflege.
In meiner Heimatgemeinde war das Organisieren von Einkaufsdiensten ein großes Anliegen, über meine Funktion als Bezirksvereinsvorsitzende der Volkshilfe im Bezirk Leoben ist die Hilfestellung und Unterstützung von Menschen, gerade in diesen schwierigen Zeiten, wichtiger als je zuvor. Als Landtagsabgeordnete ist auch das Mitwirken von Maßnahmenpaketen in Bereichen wie Infrastruktur, Sozialwesen und Wirtschaft ein Schwerpunkt. Viele dieser Angelegenheiten zählten aber auch schon vor dem Lockdown zu meinem Arbeitsalltag.
Was empfehlen Sie Frauen, die von der Krise betroffen sind?
Es wäre einfach, den Frauen nun zu sagen, dass sie durchhalten und nicht verzweifeln sollen. Wir sind jedoch gefordert diesen Frauen zu helfen. Ihre Sorgen ernst zu nehmen, finanziell als auch mental zu unterstützen, ein politisches Auffangnetz und faire Rahmenbedingungen zu schaffen. Arbeitsrechtlich gesehen, gilt es auf jeden Fall darauf hinzuweisen, sich ausreichend zu informieren, Forderungen von Seiten des Arbeitgebers nicht unhinterfragt anzunehmen und nichts leichtfertig zu unterschreiben.
Was jedoch besonders wichtig ist, mitzuteilen, dass sie in dieser Ausnahmesituation nicht funktionieren und alles regeln müssen, dass man keine Scham davor haben soll, Unterstützung und Hilfe einzufordern. Viele schlittern momentan unverschuldet in eine finanzielle Krise. Das ist aktuell massiv bei der vermehrten Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen bzw. Einkaufsgutscheinen der Volkshilfe zu beobachten, wo ersichtlich wird, wie viele sich momentan nicht mal mehr das Essen auf dem Teller leisten können.
Foto: AK Steiermark