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Digital Commerce: Von „mitleidslosen Kunden“ und „bequemen Alternativen“
Digital Commerce: Von „mitleidslosen Kunden“ und „bequemen Alternativen“
Technische Innovationen verändern den Handel fundamental. Was auf die Branche zukommt und wie sie darauf reagieren muss, um nicht unter die digitalen Räder zu kommen, diskutierten Experten bei einer Veranstaltung der Plattform "Digital Business Trends" in Wien.
"Die Zeit des stationären Handels hat in manchen Bereichen ein Ablaufdatum. Viele traditionelle Geschäftsmodelle zerbrechen. Der Wandel erfolgt großteils unbemerkt, und das Tempo ist immens hoch. Dabei wird es Gewinner und sehr, sehr viele Verlierer geben", erklärte Werner Wutscher, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens New Venture Scouting und zuvor unter anderem langjähriger Vorstand von REWE International.
Der Handel agiere derzeit noch häufig nach dem Motto: "Schauen wir mal, was passiert." Unternehmen, die die anstehenden Fragen der Kunden nicht beantworten und sie mit den Entwicklungen allein lassen würden, "riskieren aber einen massiven Vertrauensverlust - und Vertrauen ist die wichtigste Währung der Händler". Gerade im Lebensmittelbereich stehe man erst am Anfang der Diskussion.
Dabei gehe es nicht um punktuelle Einzelmaßnahmen wie Apps oder einen Online-Shop, sondern um wirklich neue Geschäftsmodelle. "Man muss alle Prozesse im Unternehmen hinterfragen - von der Zulieferkette über die Infrastruktur bis zu Personalfragen." Durch Anstrengungen im Bereich der Zustellung noch am selben Tag ("Same-Day Delivery") könnten beispielsweise komplett neue Plattformen entstehen: "Derzeit ist es aber noch unvorstellbar, dass sich Billa und Spar einen LKW teilen", so Wutscher.
Eine weitere Schwierigkeit bestehe in der zunehmenden Komplexität, "weil auch der traditionelle Kunde abgeholt werden muss". Unterstützung bei den anstehenden Änderungen könnten Kooperationen mit Start-ups bieten. Viele große Unternehmen würden aber Probleme haben, mit den Jungunternehmen zu kommunizieren. Derzeit sei jedenfalls noch viel im Fluss: "Wer ihnen sagt, wie der Handel in sieben Jahren ausschaut, lügt."
Vertrauen wird von Bequemlichkeit abgelöst
Nicht ganz einverstanden mit manchen Argumenten von Wutscher zeigte sich Boris Marte, Leiter des Innovationslabors von Erste Bank und Sparkassen. Für die junge Generation gebe es keinen Wandel, "für sie ist das ganz einfach die Wirklichkeit". Die Veränderungen seien nicht zuallererst schnell, sondern vor allem massiv und nachhaltig. Und mit Start-ups sollte man sich seiner Meinung nach nur einlassen, wenn tatsächlich Bereitschaft zu Veränderungen im Unternehmen vorhanden ist.
Das Vertrauen gegenüber dem Anbieter werde außerdem zusehends von Bequemlichkeit abgelöst. "Wer vertraut schon Facebook oder (dem Online-Bezahldienst; Anm.) Paypal?", so Marte. Viel mehr zähle der Vorteil, den ein bestimmtes Service biete. "Der Kunde ist ein Geschöpf, das kein Mitleid kennt", spielte der Experte auf Urlaubsbuchungen im Internet an, "auch wenn einem die Mitarbeiter im Reisebüro sympathisch sind".
Noch immer 95 Prozent der Umsätze stationär
"Der Kunde schätzt Convenience und will nicht primär sein soziales Gewissen befriedigen", pflichtete René Tritscher, Geschäftsführer der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich, bei. Die Welt habe sich aber nicht radikal verändert: Auch wenn viele Informationen vorab im Netz abgerufen würden, kaufe man hauptsächlich vor Ort. Fakt sei, dass in Österreich noch immer 95 Prozent des Einzelhandelsumsatzes stationär erwirtschaftet würden. Allerdings gebe es im Online-Bereich enorme Steigerungen, während das Ladengeschäft stagniere.
Vor allem große Unternehmen würden sich im Internet engagieren, was die Sorge schüre, "dass die kleinen Betriebe das verschlafen". Ein Wermutstropfen sei, dass die Hälfte der jährlichen Internet-Ausgaben der Österreicher - rund drei Milliarden Euro - an den ausländischen Online-Einzelhandel bzw. zu (Marken-)Herstellern fließt. Hier gebe es sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen, weshalb die österreichische und europäische Politik gefordert sei, für Fairness zu sorgen.
Neue Chancen auch für KMU
Die Händler stünden mittlerweile mit jedem Retailer weltweit und auch den Produzenten im Wettbewerb, betonte Peter Neubauer, Partner von Werbeplanung.at. Er sieht aber auch Vorteile für KMU: "Technologie ist ein großer Gleichmacher und bietet daher viele Chancen für Kleinunternehmen." Außerdem würde der Orientierungsbedarf der Kunden durch das stetig steigende Angebot zunehmen. "Die Beziehungsebene wird wichtiger", zeigte sich Neubauer überzeugt.
Online sei ein sehr demokratisches Medium, in dem Sinne, dass die Technologie auch kleinen Unternehmen zur Verfügung stehe, befand auch Siegfried Stepke, Geschäftsführer der Agentur e-dialog. Wichtig sei, die richtige Botschaft im richtigen Umfeld auszuspielen. Schon Kunden und Nicht-Kunden unterschiedlich anzusprechen, hätte große Auswirkungen. "Realtime" sei dabei nicht nur ein Schlagwort, sondern inzwischen in allen Kanälen ein Muss.
Umsetzung zum Teil noch mangelhaft
"Der Handel investiert zu Recht massiv in den Online-Bereich. Allerdings wird zum Teil am Design beziehungsweise am Einkaufserlebnis gespart. Das ist ein Fehler", sagte Oliver Krizek, Geschäftsführer der NAVAX Unternehmensgruppe. Einfach das Papier-Prospekt ins Internet zu stellen, sei zu wenig. Man müsse wissen, wie das Medium funktioniert. Immer wichtiger werde, dass das Online-Angebot auch auf mobilen Endgeräten nutzbar sei.
Er habe kürzlich beispielsweise in ein Start-up investiert, das die Kommunikation mit Automaten über Apps ermögliche. So könnten Eltern ihren Kindern für die Schule ein Guthaben aufladen und nur bestimmte Getränke und Nahrungsmittel freischalten.
Foto: Katharina Rossboth
"Die Zeit des stationären Handels hat in manchen Bereichen ein Ablaufdatum. Viele traditionelle Geschäftsmodelle zerbrechen. Der Wandel erfolgt großteils unbemerkt, und das Tempo ist immens hoch. Dabei wird es Gewinner und sehr, sehr viele Verlierer geben", erklärte Werner Wutscher, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens New Venture Scouting und zuvor unter anderem langjähriger Vorstand von REWE International.
Der Handel agiere derzeit noch häufig nach dem Motto: "Schauen wir mal, was passiert." Unternehmen, die die anstehenden Fragen der Kunden nicht beantworten und sie mit den Entwicklungen allein lassen würden, "riskieren aber einen massiven Vertrauensverlust - und Vertrauen ist die wichtigste Währung der Händler". Gerade im Lebensmittelbereich stehe man erst am Anfang der Diskussion.
Dabei gehe es nicht um punktuelle Einzelmaßnahmen wie Apps oder einen Online-Shop, sondern um wirklich neue Geschäftsmodelle. "Man muss alle Prozesse im Unternehmen hinterfragen - von der Zulieferkette über die Infrastruktur bis zu Personalfragen." Durch Anstrengungen im Bereich der Zustellung noch am selben Tag ("Same-Day Delivery") könnten beispielsweise komplett neue Plattformen entstehen: "Derzeit ist es aber noch unvorstellbar, dass sich Billa und Spar einen LKW teilen", so Wutscher.
Eine weitere Schwierigkeit bestehe in der zunehmenden Komplexität, "weil auch der traditionelle Kunde abgeholt werden muss". Unterstützung bei den anstehenden Änderungen könnten Kooperationen mit Start-ups bieten. Viele große Unternehmen würden aber Probleme haben, mit den Jungunternehmen zu kommunizieren. Derzeit sei jedenfalls noch viel im Fluss: "Wer ihnen sagt, wie der Handel in sieben Jahren ausschaut, lügt."
Vertrauen wird von Bequemlichkeit abgelöst
Nicht ganz einverstanden mit manchen Argumenten von Wutscher zeigte sich Boris Marte, Leiter des Innovationslabors von Erste Bank und Sparkassen. Für die junge Generation gebe es keinen Wandel, "für sie ist das ganz einfach die Wirklichkeit". Die Veränderungen seien nicht zuallererst schnell, sondern vor allem massiv und nachhaltig. Und mit Start-ups sollte man sich seiner Meinung nach nur einlassen, wenn tatsächlich Bereitschaft zu Veränderungen im Unternehmen vorhanden ist.
Das Vertrauen gegenüber dem Anbieter werde außerdem zusehends von Bequemlichkeit abgelöst. "Wer vertraut schon Facebook oder (dem Online-Bezahldienst; Anm.) Paypal?", so Marte. Viel mehr zähle der Vorteil, den ein bestimmtes Service biete. "Der Kunde ist ein Geschöpf, das kein Mitleid kennt", spielte der Experte auf Urlaubsbuchungen im Internet an, "auch wenn einem die Mitarbeiter im Reisebüro sympathisch sind".
Noch immer 95 Prozent der Umsätze stationär
"Der Kunde schätzt Convenience und will nicht primär sein soziales Gewissen befriedigen", pflichtete René Tritscher, Geschäftsführer der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich, bei. Die Welt habe sich aber nicht radikal verändert: Auch wenn viele Informationen vorab im Netz abgerufen würden, kaufe man hauptsächlich vor Ort. Fakt sei, dass in Österreich noch immer 95 Prozent des Einzelhandelsumsatzes stationär erwirtschaftet würden. Allerdings gebe es im Online-Bereich enorme Steigerungen, während das Ladengeschäft stagniere.
Vor allem große Unternehmen würden sich im Internet engagieren, was die Sorge schüre, "dass die kleinen Betriebe das verschlafen". Ein Wermutstropfen sei, dass die Hälfte der jährlichen Internet-Ausgaben der Österreicher - rund drei Milliarden Euro - an den ausländischen Online-Einzelhandel bzw. zu (Marken-)Herstellern fließt. Hier gebe es sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen, weshalb die österreichische und europäische Politik gefordert sei, für Fairness zu sorgen.
Neue Chancen auch für KMU
Die Händler stünden mittlerweile mit jedem Retailer weltweit und auch den Produzenten im Wettbewerb, betonte Peter Neubauer, Partner von Werbeplanung.at. Er sieht aber auch Vorteile für KMU: "Technologie ist ein großer Gleichmacher und bietet daher viele Chancen für Kleinunternehmen." Außerdem würde der Orientierungsbedarf der Kunden durch das stetig steigende Angebot zunehmen. "Die Beziehungsebene wird wichtiger", zeigte sich Neubauer überzeugt.
Online sei ein sehr demokratisches Medium, in dem Sinne, dass die Technologie auch kleinen Unternehmen zur Verfügung stehe, befand auch Siegfried Stepke, Geschäftsführer der Agentur e-dialog. Wichtig sei, die richtige Botschaft im richtigen Umfeld auszuspielen. Schon Kunden und Nicht-Kunden unterschiedlich anzusprechen, hätte große Auswirkungen. "Realtime" sei dabei nicht nur ein Schlagwort, sondern inzwischen in allen Kanälen ein Muss.
Umsetzung zum Teil noch mangelhaft
"Der Handel investiert zu Recht massiv in den Online-Bereich. Allerdings wird zum Teil am Design beziehungsweise am Einkaufserlebnis gespart. Das ist ein Fehler", sagte Oliver Krizek, Geschäftsführer der NAVAX Unternehmensgruppe. Einfach das Papier-Prospekt ins Internet zu stellen, sei zu wenig. Man müsse wissen, wie das Medium funktioniert. Immer wichtiger werde, dass das Online-Angebot auch auf mobilen Endgeräten nutzbar sei.
Er habe kürzlich beispielsweise in ein Start-up investiert, das die Kommunikation mit Automaten über Apps ermögliche. So könnten Eltern ihren Kindern für die Schule ein Guthaben aufladen und nur bestimmte Getränke und Nahrungsmittel freischalten.
Foto: Katharina Rossboth